Notsicherung und Sanierung des Weltkulturerbes in Weimar

Im Feuer der Brandnacht des 2. September 2004 verbrannten in der Weimarer Herzogin Anna Amalia-Bibliothek nicht nur mehr als 50.000 Bücher von unschätzbarem Wert. Vor allem auch das Gebäude selbst wurde vom Feuer stark geschädigt.

 

WELTKULTURERBE FAST VERBRANNT

Das historische Bibliotheksgebäude mit seinem berühmten Rokokosaal gehört seit 1998 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Über 1 Millionen Bücher gehören zum Bibliotheksbestand, darunter zahlreiche, die nur noch in wenigen Exemplaren weltweit existieren. Wenige Wochen, bevor die lange geplante Sanierung beginnen sollte, zerstörte ein Großbrand die beiden Mansardgeschosse und beschädigte das Gebäude schwer.

Der Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek war ein dramatisches und folgenreiches Ereignis für die Kulturlandschaft Thüringens und für die Stadt Weimar. Im wahrsten Sinne hautnah war dieser Eindruck für die Mitarbeiter, die über Wochen rund um die Uhr mit großer Einsatzbereitschaft die Brandruine zu sichern, zu beräumen und vor der Witterung zu schützen hatten. Aber auch in der gesamten Folgezeit bis zur Wiedereröffnung blieb die Arbeit an der Bibliothek eine besondere Herausforderung. Die vielfältigen Probleme verlangten nicht nur von den Planern außergewöhnliche Kreativität, sondern auch von den Ausführenden außerordentliches Engagement und Ideenreichtum.

 

IM KAMPF GEGEN BRANDSCHUTT UND LÖSCHWASSER

Insbesondere die bis zu 285.000 Liter Löschwasser, die das Gebäude durchtränkten, haben den komplexen Bauorganismus empfindlich getroffen. Die Schäden reichen von revitalisiertem Befall mit Echtem Hausschwamm an den Fußbodenbalken des Rokokosaals über durchfeuchtete Renaissancegewölbe des Erdgeschosses bis zu komplett durchnässtem Mauerwerk.

Seit dem ersten Tag war die Herzogin Anna Amalia-Bibliothek für uns nahezu tägliche Herausforderung und erforderte zahlreiche innovative Ideen. Bereits am Tag nach dem Brand schwebte über dem noch schwelenden Dachgebälk unser Krankorb, von dem aus die Brandursachenermittler die Situation einschätzten. Die Entscheidung, den nicht begehbaren Brandschutt sofort mit einem am Kranhaken hängenden Minibagger zu beräumen, erwies sich als rettende Idee: Unter der 1,20 m hohen Schicht aus verkohltem Holz, verbrannten Büchern, herabgestürztem Schiefer, Asche und Löschmitteln verbargen sich ausgedehnte Glutnester. Ohne das unverzügliche Abtragen des Brandschutts hätten sich diese Glutnester durch die Decke des Rokokosaales gebrannt – damit wäre dessen Untergang unvermeidlich geworden.

Die ungeheuren Mengen an Löschwasser waren bis in die Gewölbe des Erdgeschosses vorgedrungen und hatten die Gewölbefüllung durchnässt. Um eine Trocknung zu ermöglichen, mussten die Balken aufgenommen werden, die darüber in einer sogenannten Mannlage Balken an Balken den Fußboden des Rokokosaales bildeten. Dabei fanden wir alte Bestände eines Schwammbefalls, den das eingedrungenen Löschwasser revitalisiert hatte und der sich innerhalb kürzester Zeit über die gesamte Manndecke ausbreitete. Die vom Neubefall des Echten Hausschwamms betroffenen Hölzer waren noch nicht physisch zerstört und konnten deshalb nach dem Ausbau durch eine Begasung mit Methylbromid gerettet werden. Viele der Deckenbalken waren jedoch vom Altbefall so zersetzt, dass sie ihre Tragwirkung verloren hatten.

 

ROKOKOSAAL IN DER SCHWEBE

Die Masse des Saales lastete somit auf den Gewölbekappen des Erdgeschosses und gefährdete deren Stabilität: es bildeten sich Risse, und die Gewölbe verformten sich. Um diese zu entlasten und die Balken unter den Stützen des Rokokosaales auszubauen, hoben wir den kompletten Rokokosaal um 3 mm an und hielten ihn für viele Wochen in der Schwebe. Dies gelang uns mit einer Stahlkonstruktion, die ihre Anschlagpunkte an Trapezrahmen über der ehemaligen Brandebene des Dachgeschosses hatte und die Lasten des Saales auf die massiven Außenwände leitete.

Die Holzbalken sollten nach der Planung des Ingenieurbüros Trabert und Partner durch massive Stahlträger ersetzt werden. Ein Einbau von neuen Holzbalken war nicht möglich, da der Abstand zwischen Gewölbe und Saal für die erforderlichen Holzquerschnitte zu gering gewesen wäre. Stattdessen ruhen die Stützen des historischen Saales jetzt auf Stahlträgern, welche die Kräfte über die Auflager in die Außenwände der Bibliothek ableiten. Diese Träger, die durch ihre dreigeteilte, um drei Millimeter überhöhte Konstruktion wie eine gewölbte Ebene vorgespannt sind, nahmen beim Ablassen der historischen Holzkonstruktion deren Vertikalschub auf und formten sich erst dadurch zu einer waagerechten Trägerlage.

 

DER NEUBAU DES DACHES

Teichfolie statt Wetterschutzdach

Nach der Beräumung des Brandschuttes auf der obersten Deckenebene hatte das Gebäude der Anna Amalia Bibliothek ein Notdach erhalten, dessen Vorhandensein für einen längeren Zeitraum der Sicherung und Instandsetzung auch nach den vorbeschriebenen Verfahren unabdingbar war. Problematisch wurde seine Existenz jedoch mit dem Zeitpunkt, zu dem die Montage der am Boden vorgefertigten großen Dachbinder anstand. Aus diesem Grund haben wir dem Bauherrn eine Technologie empfohlen, die wir mit hohem wirtschaftlichen Nutzen bereits bei der Dacherneuerung der großen gotischen Hallenkirchen St. Marien in Halle und St. Michael in Jena angewendet hatten. An ein Foliennotdach für die Anna Amalia Bibliothek waren auf Grund der kurzen Stellzeiten für das neue Dach weitaus geringere Anforderungen zu stellen; eine einlagige Ausführung mit Schutz gegen mechanische Beschädigungen reichte aus.

Die schützenden Gummischrotmatten stellten mit ihrem Gewicht gleichzeitig auch eine Sogsicherung bei höheren Windgeschwindigkeiten dar. Sorgfalt war allerdings bei der Anarbeitung an aufgehende Konstruktionsteile wie Sparrenfüße sowie bei der Eindichtung der Abläufe geboten. Die Folienabdeckung erwies sich auch auf der Anna Amalia Bibliothek als sehr brauchbare Möglichkeit zur Einsparung von Baukosten.Eigentlich hätten die Zimmererarbeiten im Bereich des Mansarddachs die Montage eines Raumgerüstes erfordert. Ein solches Gerüst kostet nicht nur Geld, es behindert auch immer wieder die durch den Dachraum vorzunehmenden Transporte. So entstand als alternative Zugangstechnik eine einfache Lösung, bei der eine mit Rollen versehene Arbeitsebene auf Gerüstkonsolen verschoben werden konnte.

Holzprothetik

Die brandgeschädigten Balkenköpfe der Manndecke konnten nur durch das BETA-Verfahren denkmalverträglich saniert werden. Im Feldbereich der Deckenbalken wurde mit dem Polymerbeton COMPONO eine wesentliche Erhöhung der Tragfähigkeit erreicht.

Mauerwerkstrocknung

Die Mauerwerkstrocknung durch Mikrowellen und Infrarottechnologie konnte im Rahmen eines Forschungsvorhabens beurteilt und bewertet werden, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wurde.

Schwammbekämpfung

Die Schimmelbekämpfung an den Deckenbalken konnte nur durch eine Begasung mittels Methylbromid erfolgen, wobei auch gleichzeitig alte Schadstellen des Echten Hausschwammes mitbehandelt wurden. Die fungizide Wirkung von Methylbromid hat hier zur Abtötung aller Pilze geführt.

Bereits im Oktober 2007, zum 200. Todestag Anna Amalias, konnte das historische Stammgebäude der Bibliothek als „Studienzentrum für das alte Buch“ wiedereröffnet werden.

Die beim Brand verlorene zweite Galerie des Rokokosaals beherbergt heute unter dem von uns gerichteten Dachstuhl einen Sonderlesesaal.

 

SPEZIALLEISTUNGEN

  • Beräumung der Brandebene, beginnend am Morgen nach dem Brand
  • Notsicherung der oberen Geschoßdecke und des Stucks im Rokokosaal
  • Bewahrung der Geschoßdecke vor dem Einsturz
  • Temporäre Abdichtung der offenen Dachebene mittels Teichfolie anstatt eines Wetterschutzdaches
  • Anheben des gesamten Rokokosaals zum Einbau einer neuen Tragkonstruktion
  • zahlreiche weitere Leistungen in den Gewerken Zimmerer und Maurer

 

GEWERK ZIMMERER

  • Herstellen Notdach
  • Neubau von Dachstuhl
  • Bautrocknung, Reinigung
  • Schwammbekämpfung mit Microwelle
  • Schädlingsbekämpfung durch Begasung
  • Sanierung und Verstärkung der Deckenbalkenebene des Rokokosaals
  • Verstärkung durch neue Stahlträger in Deckenebene
  • Konstruktion des Daches
  • Brettschichtholzgebinde in Mansarddachform mit eingeschlitzten Stahlsonderteilen
  • Eingehängte Koppelpfetten und aufgesetzte Zwischensparren
  • Zwischengehängte Deckenbalken mit aufgeschraubter Furnierschichtplatte als aussteifende Scheibe
  • Einbau von Gaupen nach historischem Vorbild
  • Abdichtung des Gebäudes in der Montageebene mit Spezialfolie

 

GEWERK MAURER

  • bergmännisches Abteufen eines Aufzugsschachtes im bestehenden massiven Wandbereich